Im Rahmen der Wertermittlung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG kann sich der Steuerpflichtige durch Vorlage eines Gutachtens gegen das vereinfachte Ertragswertverfahren entscheiden. In diesem Fall stellt die Wertermittlung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren keine Auffangmethode dar.
Hintergrund
A ist die Erbin des Erblassers E, der am 1.1.2011 verstarb. E war mit einem Anteil von 17 % Gesellschafter einer GmbH. Weiterer Gesellschafter und Geschäftsführer war u. a. B.
Das Finanzamt stellte im Rahmen der Erbschaftsteuer den Wert der GmbH auf den 1.1.2011 im vereinfachten Ertragswertverfahren mit 81 Mio. EUR und den Wert des Anteils des E mit 14 Mio. EUR fest.
Nach Ansicht der A führte das vereinfachte Ertragswertverfahren zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis. Wegen der Befristung eines wichtigen Mandats musste mit einer Verschlechterung der Ertragslage gerechnet werden. Zudem brachte der unerwartete Tod des Geschäftsführers B die GmbH in erhebliche Schwierigkeiten. Nach der gutachterlichen Stellungnahme eines Wirtschaftsprüfers war deshalb der Wert des Anteils des E am Todestag mit 6,4 Mio. EUR (15 % von 43 Mio. EUR) zu beziffern.
Das Finanzgericht wies die Klage ab. Es war wie das Finanzamt auch der Meinung, dass das vereinfachte Ertragswertverfahren anwendbar war und nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führte. Die von A vorgelegte gutachterliche Stellungnahme war nicht verwertbar, da sie wegen der Berücksichtigung zukünftiger Ereignisse gegen das Stichtagsprinzip verstieß.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof hob das Finanzgerichtsurteil auf und verwies den Fall an das Finanzgericht zurück. Zu Unrecht war das Finanzgericht von einem Vorrang des vereinfachten Ertragswertverfahrens ausgegangen. Zudem verletzte es seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung dadurch, dass es die in Form der gutachterlichen Stellungnahme eingereichte Wertermittlung der A weder beachtete noch unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ergänzte und anpasste.
Ist der gemeine Wert von nicht notierten Anteilen an einer Kapitalgesellschaft zu ermitteln, kann anstelle eines individuellen Ertragswertverfahrens auch das vereinfachte Ertragswertverfahren angewendet werden, wenn dieses nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt. Damit wird dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht zur Anwendung des vereinfachten Verfahrens gewährt. Entscheidet er sich durch Vorlage eines Gutachtens gegen das vereinfachte Ertragswertverfahren, kann dieses auch nicht nach Art eines Auffangtatbestands der Bewertung zugrunde gelegt werden. Das gilt auch dann, wenn der Unternehmenswert nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG in dem Gutachten unzureichend ermittelt wurde.
Ein Vorrang bzw. eine widerlegbare Vermutung der Richtigkeit für einen mittels des vereinfachten Ertragswertverfahrens ermittelten Werts besteht nicht. Denn die in diesem Verfahren vorgesehenen Typisierungen können zu Abweichungen vom gemeinen Wert führen. Das Wahlrecht des Steuerpflichtigen ist daher gerechtfertigt. Hat er sich gegen das vereinfachte Ertragswertverfahren entschieden und legt er stattdessen ein Gutachten nach den Grundsätzen des § 11 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BewG vor, können daher weder das Finanzamt noch das Finanzgericht ohne Weiteres dem vereinfachten Ertragswertverfahren den Vorrang einräumen. Nur wenn das vereinfachte Ertragswertverfahren zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt, soll sich der Anteilsinhaber nicht auf dieses Verfahren berufen können und die Finanzverwaltung die Möglichkeit haben, das Verfahrens abzulehnen.
Entspricht das Gutachten nicht in jeder Hinsicht, sondern nur in einzelnen Aspekten nicht den Anforderungen, darf es das Finanzgericht aber nicht ohne Weiteres insgesamt unberücksichtigt lassen und zum vereinfachten Ertragswertverfahren wechseln. Etwaige Lücken im Gutachten können vom FG selbst geschlossen oder müssen vom Steuerpflichtigen nachgebessert werden.
Im vorliegenden Fall hatte das Finanzgericht das Gutachten nicht vollständig, sondern nur in einzelnen Punkten beanstandet. Damit hätte das Finanzgericht das Gutachten nicht insgesamt verwerfen dürfen. Es hätte A die Möglichkeit zur Ergänzung geben oder selbst ein neues Gutachten in Auftrag geben müssen