Ignoriert ein Sachbearbeiter Prüf- und Risikohinweise des Risikomanagementsystems und unterlässt er daraufhin eine weitere Sachverhaltsermittlung, liegt kein mechanisches Versehen vor. Vielmehr handelt es sich um einen Ermittlungsfehler, der eine Änderung des Steuerbescheids ausschließt.
Hintergrund
Die Eheleute heirateten im Jahr 2010. In der Einkommensteuer-Erklärung gaben sie u. a. Einkünfte des Ehemanns aus selbstständiger Arbeit in Höhe von 129.000 EUR an. Beim Einscannen der Erklärung durch das Finanzamt wurde die Anlage S versehentlich nicht mit eingescannt, sodass die Erfassung der Einkünfte des Ehemanns unterblieb.
Nach der maschinellen Prüfung der eingescannten Daten gingen verschiedene Prüf- und Risikohinweise ein, die den Fall als risikobehaftet werteten und er deshalb personell zu prüfen war. Die Sachbearbeiterin und der Sachgebietsleiter arbeiteten diese Hinweise ab und versahen sie mit Vermerken und Haken. Trotzdem blieben die Einkünfte des Ehemanns aus selbstständiger Arbeit unberücksichtigt. Der Fehler wurde erst bei der Bearbeitung des Folgejahres festgestellt. Das Finanzamt erließ einen Änderungsbescheid und begründeten dies mit einer offenbaren Unrichtigkeit.
Das Finanzgericht wies die Klage ab.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof entschied dagegen, dass der Bescheid nicht mehr geändert werden konnte.
Offenbare Unrichtigkeiten, die jederzeit berichtigt werden können, sind mechanische Fehler, also z.B. Schreib- und Rechenfehler, Eingabe- oder Übertragungsfehler, die ohne weitere Prüfung erkannt werden. Nicht zu den offenbaren Unrichtigkeiten zählen dagegen Fehler bei der Anwendung einer Rechtsnorm, also z.B. Auslegungsfehler, unrichtige Tatsachenwürdigung, unzutreffende Annahme eines nicht vorliegenden Sachverhalts.
Bei einer unterlassenen oder unrichtigen Tatsachenaufklärung liegt ein Rechtsfehler (Rechtsirrtum, Denkfehler) vor, der eine Berichtigung wegen einer offenbaren Unrichtigkeit ausschließt. Wird dagegen ein Sachverhaltsteil aus Unachtsamkeit nicht berücksichtigt (Übersehen), handelt es sich um ein mechanisches Versehen, das eine Korrektur wegen offenbarer Unrichtigkeit eröffnet.
Das Übersehen eines Prüfhinweises oder auch eine besonders oberflächliche Behandlung durch das Finanzamt ermöglicht somit eine Berichtigung nur dann, wenn die Prüfung nicht zu einer neuen Willensbildung des Veranlagungsbeamten im Tatsachen- oder Rechtsbereich geführt hat. Bleibt etwa ein Prüfhinweis unbeachtet, perpetuiert sich lediglich der Eingabefehler des Sachbearbeiters.
Anders ist es jedoch, wenn sich dem Sachbearbeiter aufgrund von Prüfhinweisen Zweifel an der Richtigkeit seiner Eingabe aufdrängen mussten und er trotz dieser Zweifel eine weitere Sachverhaltsaufklärung unterlässt. Denn auch bei einem Risikomanagementsystem bleibt das Finanzamt zur Sachverhaltsermittlung verpflichtet.
Hiervon ausgehend konnte der Bescheid nicht berichtigt werden. Dass bei der Erfassung der Einkommensteuer-Erklärung die Anlage S nicht mit eingescannt wurde, stellt zwar ein offenbares mechanisches Versehen dar. Dieses wurde jedoch durch den anschließenden Fehler in der Sachverhaltsermittlung überlagert.
Die Nichtberücksichtigung der selbstständigen Einkünfte des Ehemanns beruhte darauf, dass der Sachverhalt insoweit nicht aufgeklärt wurde, obwohl aufgrund der Hinweise Zweifel an der Richtigkeit dieser Einkünfte bestanden und daher eine weitere Sachaufklärung geboten gewesen wäre. Damit beruht der Fehler auf einer unzureichenden Sachverhaltsaufklärung, die als Rechtsfehler eine spätere Berichtigung wegen einer offenbaren Unrichtigkeit ausschließt.