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Kindergeld: Wann der schwerbehinderte erwachsene Bruder als Pflegekind gilt

Ein Pflegekindschaftsverhältnis bedarf der Feststellung eines „familienähnlichen Bands“. Das gilt auch dann, wenn tatsächlich verwandtschaftliche Beziehungen gegeben sind und damit ein „familiäres Band“ besteht.

Hintergrund

Die Klägerin war die Schwester eines im Jahr 2018 verstorbenen schwerbehinderten Mannes mit einem GdB von 100. In seinem Schwerbehindertenausweis waren u. a. die Merkzeichen „G“ und „H“ eingetragen. Darüber hinaus war vermerkt, dass die Notwendigkeit ständiger Begleitung bestand. Die Klägerin übernahm nach dem Tod der Mutter die Betreuung ihres Bruders und wurde auch zu seiner gesetzlichen Betreuerin bestellt.

Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Kindergeld für ihren Bruder wurde von der Familienkasse abgelehnt.

Danach hatte das Finanzgericht die Familienkasse verurteilt, der Klägerin Kindergeld ab Juni 2017 zu bewilligen. Der Bundesfinanzhof hatte das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben und die Rechtssache an das Finanzgericht zurückverwiesen. Im zweiten Rechtsgang war nun zu klären, ob die Behinderung so schwer war, dass der Zustand des Bruders dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entsprach. Auch waren Feststellungen zu treffen, die auf eine Erziehungsfunktion der Klägerin und ein Autoritätsverhältnis zu ihr schließen ließen.

Entscheidung

Die Klage hatte im zweiten Rechtsgang Erfolg. Das Finanzgericht entschied, dass zwischen der Klägerin und ihrem schwerbehinderten Bruder, dessen geistiger Zustand dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entsprach, ein familienähnliches Band bestanden hat. Der Schwester stand daher Kindergeld für ihren Bruder als Pflegekind zu.

Der Bruder war in den Haushalt der Klägerin aufgenommen und dieser bildete den Mittelpunkt der gemeinsamen Lebensinteressen. Die Aufenthalte des Bruders in der Wohnung der Klägerin stellten keine bloßen Besuche dar, sondern waren von einer selbstverständlichen Regelmäßigkeit geprägt. Eine den Besuchscharakter überschreitende Dauer lag bei einem Aufenthalt von insgesamt mehr als 3 Monaten pro Jahr vor.

Der Umstand, dass es mittlerweile nicht mehr dem wissenschaftlichen Standard im Umgang mit behinderten erwachsenen Menschen entspricht, diese wie Kinder „zu erziehen“, stand hier der Annahme eines „familienähnlichen Bands“ nicht entgegen.