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Zur Nachrangigkeit des Kindergeldanspruchs in Deutschland

Besteht ein Anspruch auf Kindergeld im nachrangigen Staat – hier Deutschland – ist den Eltern in Deutschland Kindergeld zu gewähren, auch wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Kindergeld-Anspruch im vorrangigen Staat – hier Polen – nicht erfüllt sind.

Hintergrund

Der Vater V ist polnischer Staatsbürger und verheiratet. Er hat einen Wohnsitz im Inland und war von Januar bis April 2015 nicht erwerbstätig.

Der Sohn A lebt im Haushalt von V und seiner Ehefrau F in Polen. F war nicht erwerbstätig und hatte sich damit einverstanden erklärt, dass das Kindergeld an V gezahlt wird. Die Eheleute bezogen für A kein Kindergeld in Polen, da das Familieneinkommen die im Bewilligungszeitraum 1.11.2014 bis 31.10.2015 gültige Einkommensgrenze überstieg.

Die deutsche Familienkasse zahlte zunächst Kindergeld für A. Im Jahr 2017 hob sie die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar bis April 2015 auf. Denn V hatte nur für die Zeiträume Juni bis Dezember 2014 und Mai bis Dezember 2015 Nachweise über die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit vorgelegt. Der Kindergeldanspruch war nach Ansicht der Familienkasse wegen fehlender steuerpflichtiger Erwerbstätigkeit und fehlenden Rentenbezugs beider Elternteile nach dem Wohnortprinzip ausgeschlossen.

Das Finanzgericht gab der Klage statt, da der nationale Kindergeldanspruch unionsrechtlich nicht ausgeschlossen war.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof folgte dem Urteil des Finanzgerichts und entschied, dass V das deutsche Kindergeld in voller Höhe zustand. Der Anspruch auf deutsches Kindergeld war nicht durch Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen. Da kein Anspruch in Polen bestand und somit keine konkurrierenden Ansprüche gegeben waren, greift die Prioritätsregelung nicht ein.

Der im Inland wohnende V erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen für das deutsche Kindergeld für seinen in Polen lebenden minderjährigen Sohn A. A lebt in einem gemeinsamen Haushalt von V und F in Polen. Für den Kläger liegt eine entsprechende Berechtigtenbestimmung vor.

V unterlag den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Deutschland, da er im strittigen Zeitraum weder eine Erwerbstätigkeit ausgeübt noch Leistungen bei Arbeitslosigkeit erhalten hat. F unterlag jedenfalls aufgrund ihres Wohnsitzes den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats Polen, da sie ebenfalls keiner Erwerbstätigkeit nachging. Wird der Anspruch im anderen Mitgliedstaat ebenfalls durch den Wohnort ausgelöst und ist dieser Mitgliedstaat (hier Polen) zugleich der Wohnort der Kinder, ist der Kindergeldanspruch in Deutschland nachrangig. Bei Nachrangigkeit des Kindergeldanspruchs in Deutschland wird dieser bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt. Der an sich vorgesehene Differenzbetrag muss allerdings nicht für Kinder gewährt werden, die in einem Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

Im vorliegenden Fall haben V und F jedoch keinen Anspruch auf polnische Familienleistungen. Es liegen somit keine konkurrierenden Ansprüche vor. Die Prioritätsregeln gelten nur, wenn für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten „zu gewähren sind“. Das bedeutet, dass wegen Fehlens eines polnischen Anspruchs und damit fehlender konkurrierender Ansprüche der Anspruch im nachrangigen Staat (hier Deutschland) nicht ausgeschlossen ist. Denn wenn in einem Mitgliedstaat für ein Kind keine Leistungen vorgesehen sind, weil z.B. die Altersgrenze oder bestimmte Einkommensgrenzen überschritten sind, ist für diese Fallgestaltung die Prioritätsregelung generell nicht anwendbar.