Leben beide Elternteile in jeweils unterschiedlichen EU-Ländern, kann es bezüglich des Kindergeldes zu einem Zusammentreffen von Leistungsansprüchen kommen. Das gilt z.B. dann, wenn der im Inland lebende Elternteil dem deutschen Recht unterliegt und der andere Elternteil unter die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats fällt, dort aber selbst keinen Familienleistungsanspruch hat.
Hintergrund
Die Eltern der Tochter J sind polnische Staatsangehörige und mittlerweile geschieden. Die Mutter M wohnt in Deutschland, der Vater V in Polen. J wohnte zunächst in Deutschland und anschließend in Polen.
Die Familienkasse lehnte eine Kindergeldfestsetzung für J ab. Sie war der Ansicht, dass ein Anspruch auf deutsches Differenz-Kindergeld ausgeschlossen ist, da beide Elternteile weder eine Erwerbstätigkeit ausübten noch eine Rente bezogen und deshalb ein Anspruch auf Familienleistungen nur im Wohnsitzland des Kindes, also Polen bestand.
Das Finanzgericht gab der Klage statt und entschied, dass V stehe kein vorrangiger Anspruch zustand. Bei Nichtbestehen eines polnischen Anspruchs besteht keine Anspruchskonkurrenz. Die Prioritätsregel nach Art. 68 Abs. 2 Satz 3 VO Nr. 883/2004 greift daher nicht ein, sodass für M der Anspruch nicht ausgeschlossen ist.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof widersprach dem Finanzgericht. Denn es ist auch zu prüfen, ob der im Inland lebenden M ein Anspruch in Polen zusteht. In diesem Fall würde eine Anspruchskonkurrenz i.S.v. Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004 bestehen.
M hatte einen Wohnsitz im Inland. J ist als leibliches Kind berücksichtigungsfähig. Sie hatte zunächst einen Wohnsitz im Inland und anschließend in Polen, also einem EU-Mitgliedstaat. Außerdem erfüllte sie auch die Berücksichtigungsvoraussetzungen für volljährige Kinder, da sie sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemühte und diese Ausbildung auch durchführte.
M unterliegt den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Deutschland. V unterlag aufgrund seines Wohnsitzes den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats Polen, da er keiner Erwerbstätigkeit nachging. Allerdings gilt für den Bereich der Familienleistungen die Sonderregelung des Art. 67 Satz 1 VO Nr. 883/2004. Danach hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.
Diese Bestimmung betrifft sowohl Leistungen nach vorrangigen Regelungen als auch Leistungen eines nachrangig zuständigen Mitgliedstaats in Form von Differenzgeld. Demnach ist nicht nur zu fingieren, dass M in Polen wohnt, sondern auch, dass sie wie V unter die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats Polen fällt.
Sollte V nach Beendigung seiner Erwerbstätigkeit z.B. Kranken- oder Arbeitslosengeld bezogen haben, wäre die Zuständigkeit Polens durch eine Beschäftigung begründet. Damit wäre auch der Anspruch in Polen als durch die Beschäftigung ausgelöst anzusehen. Der Anspruch in Polen wäre dann gegenüber dem nur durch den Wohnort ausgelösten Anspruch in Deutschland vorrangig und ein Differenzkindergeldanspruch in Deutschland wäre ausgeschlossen. Wäre der Anspruch in Polen dagegen nur durch den Wohnort des V ausgelöst, wäre dieser nachrangig, soweit J ihren Wohnsitz in Deutschland hatte. Für die Zeit danach wäre dagegen der Anspruch in Polen vorrangig, da J in Polen wohnte. Ein Differenzkindergeldanspruch in Deutschland würde für diese Zeit ausscheiden.
Zur entsprechenden Klärung des Sachverhalts verwies der Bundesfinanzhof die Sache an das Finanzgericht zurück.