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Wenn erklärter Veräußerungsgewinn nicht in die Steuerfestsetzung übernommen wird: Offenbare Unrichtigkeit?

Lässt sich nicht abschließend klären, ob tatsächlich eine offenbare Unrichtigkeit vorliegt, darf der entsprechende Steuerbescheid nicht berichtigt werden. Die Feststellungslast liegt insoweit beim Finanzamt, das den Bescheid korrigieren will.

Hintergrund

Ihre Einkommensteuererklärung für das Jahr 2011 gaben Eheleute in Papierform ab. In der Anlage G erklärten sie für den Ehemann in Zeile 8 unter „Gewinn als Mitunternehmer“ einen laufenden Beteiligungsverlust von 1.306 EUR und in Zeile 23 sowie auf der Rückseite des Formulars in Zeile 40 unter „Steuerpflichtiger Teil des Veräußerungsgewinns bei Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften“ einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn von 204.464 EUR. Der Anlage G waren eine formlose Berechnung des Veräußerungsgewinns sowie Auszüge aus dem notariellen Veräußerungsvertrag beigefügt.

Das Finanzamt berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für 2011 weder den laufenden Verlust noch den Veräußerungsgewinn. Nachdem der Bescheid bestandskräftig geworden war, änderte das Finanzamt im Januar 2013 den Einkommensteuerbescheid 2011 zunächst wegen eines Grundlagenbescheid und berücksichtigte bei dem Kläger negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb von – 1.305 EUR. Im Oktober 2015 berichtigte das Finanzamt schließlich den geänderten Einkommensteuerbescheid 2011 wegen einer offenbaren Unrichtigkeit und setzte beim Kläger erstmals Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus Veräußerungsgewinnen in Höhe von 204.464 EUR an.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof entschied, dass der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid für 2011 nicht wegen einer offenbaren Unrichtigkeit berichtigt werden durfte. Nach Ansicht des Gerichts konnte nicht ausgeschlossen werden, dass ein Denkfehler zu der offenbaren Unrichtigkeit des Bescheids geführt hatte. Dies ging zu Lasten des insoweit feststellungsbelasteten Finanzamts.

Aus der Akte ergaben sich insbesondere keine belastbaren Hinweise darauf, ob die Sachbearbeiterin beim Finanzamt die Eintragung in Zeile 40 der Anlage G lediglich übersehen hat oder ob sie sich bei der Nichtauswertung der Anlage G von fehlerbehafteten Überlegungen hat leiten lassen. Offenbar war nach Aktenlage weder das eine noch das andere.

Deshalb kam der Bundesfinanzhof zu dem Ergebnis: Lässt sich nicht abschließend klären, wie es zu der Unrichtigkeit im Bescheid gekommen ist und stehen sich 2 nicht nur theoretisch denkbare hypothetische Geschehensabläufe gegenüber, von denen einer eine Berichtigung ausschließt, darf nicht berichtigt werden.

Eine Berichtigung wegen einer offenbaren Unrichtigkeit ist auch ausgeschlossen, wenn das Finanzamt feststehenden Akteninhalt – hier waren das 6 Seiten Anlagen zur Anlage G – bewusst nicht zur Kenntnis nimmt und wenn sicher anzunehmen ist, dass bei gebotener Kenntnisnahme ein mechanischer Übertragungsfehler bemerkt und/oder vermieden worden wäre.