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Kindergeld: Wer zu spät beantragt, geht (doch nicht) leer aus

Eltern sollten möglichst zeitnah nach der Geburt den Antrag auf Kindergeld stellen, da dieses nur für 6 Monate rückwirkend ausgezahlt wird. Der § 66 Abs. 3 EStG a. F. war jedoch so ungeschickt verfasst, dass die Familienkassen doch für längere Zeiträume das Kindergeld rückwirkend zahlen mussten.

Hintergrund

Der Vater V beantragte im April 2015 Kindergeld für seine Tochter. Diese sollte im Juli 2015 eine Ausbildung abschließen und ab September 2015 eine 3-jährige Ausbildung zur Erzieherin beginnen.

Die Familienkasse setzte ab März 2015 Kindergeld fest, hob diese Festsetzung später ab August 2015 wieder auf, da trotz Aufforderung die Ausbildung der Tochter nicht nachgewiesen wurde.

Mit Antrag vom 7.10.2017, der erst am 3.4.2018 bei der Familienkasse eingegangen war, beantragte V die Festsetzung von Kindergeld für August 2015 bis August 2019. Die Familienkasse setzte Kindergeld ab August 2015 zwar fest, beschränkte jedoch die Nachzahlung auf den Zeitraum Oktober 2017 bis April 2018 unter Hinweis auf § 66 Abs. 3 EStG. Anträge, die nach dem 31.12.2017 eingehen, könnten rückwirkend nur noch zu einer Nachzahlung für die letzten
6 Kalendermonate vor dem Eingang des Antrags führen. Da der Antrag erst am 3.4.2018 bei der Familienkasse eingegangen war, bestand ein Zahlungsanspruch erst ab Oktober 2017.

Das Finanzgericht gab der dagegen gerichteten Klage statt und entschied, dass das für August 2015 bis September 2017 festgesetzte Kindergeld an V zu zahlen war.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof wies die Revision der Familienkasse zurück. Die Vorschrift des § 66 Abs. 3 EStG betraf das Festsetzungsverfahren, nicht das Erhebungsverfahren. Das Kindergeld konnte danach nur für die letzten 6 Monate festgesetzt werden. Der Wortlaut “gezahlt” könnte zwar darauf hindeuten, dass nur die Auszahlung des Kindergeldes geregelt wird und damit das Erhebungsverfahren betroffen ist. Für eine Zuordnung bereits zum Festsetzungsverfahren spricht jedoch die systematische Stellung in § 66 EStG. Die §§ 62 bis 69 EStG befassen sich mit den materiellen Voraussetzungen des Kindergeldanspruchs und Fragen der Festsetzung. In den §§ 70 und 72 EStG erfolgt der Übergang vom Festsetzungs- in das Erhebungsverfahren, während die §§ 74 bis 76 EStG ausschließlich Fragen der Erhebung betreffen.

Die Familienkasse hat somit entgegen § 66 Abs. 3 EStG und damit rechtswidrig das Kindergeld rückwirkend für August 2015 bis September 2017, d. h. über den 6-Monats-Zeitraum hinaus, festgesetzt. Diese Festsetzung wirkt allerdings konstitutiv und ist infolge der eingetretenen Bestandskraft für die Familienkasse bindend. Da die Familienkasse das Kindergeld über den 6-Monats-Zeitraum hinaus rückwirkend bestandskräftig festgesetzt hatte, war sie auch verpflichtet, das Kindergeld in diesem Umfang auszuzahlen.